Liebe:r Leser:in,
die Crash-Tauglichkeit ist einer der wichtigsten Faktoren, die jeder Automobilhersteller in der Entwicklungsphase eines Fahrzeugs berücksichtigen muss. Die Sicherheit von Insassen und Fußgängern hängt in hohem Maße von der Crash-Tauglichkeit des Fahrzeugs ab. Eine optimale Auslegung der Fahrzeugkarosserie hinsichtlich Crashverhalten sorgt dafür, dass Insassen und Fußgänger bei Verkehrsunfällen maximal geschützt sind. Gleichzeitig warden die Vorschriften für die Crashsicherheit von Fahrzeugen immer strenger. Um die Crash-Tauglichkeit von leichtbauoptimierten Composite-Bauteilen sicher und effizient vorherzusagen und nachzuweisen, ist eine besondere Expertise in der Simulation von hochdynamischen Vorgängen sowie ein tiefgreifendes Verständis der eingesetzten Verbundwerkstoffe nötig.
In diesem Blogartikel geben wir Ihnen deshalb einen Einblick in die dynamische Simulation von Faserverbundbauteilen im Crashfall, und wie wir bei ar engineers dadurch zur Entwicklung leichterer und sicherer Fahrzeugkomponenten beitragen. Lernen Sie, wie Sie durch unsere Expertise in der Crashbewertung von Composites schneller und Leichter ans Ziel kommen.
Viel Spaß beim Lesen!
Composites für Crashsicherheit
In den letzten Jahrzehnten wurden im Fahrzeugbau für die allermeisten Strukturkomponenten isotrope Konstruktionswerkstoffe wie Aluminium und Stahl verwendet. Heutzutage jedoch, insbesondere bei Elektrofahrzeugen, ist das Gewicht des Automobils ein derart treibender Faktor in der Entwicklung, dass Automobilhersteller viele metallische Strukturkomponenten durch hochwertige Verbundwerkstoffe wie carbonfaserverstärkte Kunststoffe (CFK) ersetzen, um deren Leichtbaupotenzial maximal auszuschöpfen. Auch diese Verbundwerkstoffe müssen nicht nur für statische Lastfälle, sondern auch im Hinblick auf ihr Crashverhalten optimal ausgelegt sein. Um die Crash-Tauglichkeit der Faserverbundkomponenten abschätzen zu können, ist es sehr wichtig, die absorbierte Energie und das komplexe Verformungs- und Bruchverhalten von Composites beim Aufprall zu bestimmen.
Bei einem Crash mit einem herkömmlichen PKW findet aufgrund der Aufprallgeschwindigkeit sowie der Masse des Fahrzeugs ein hoher Energietransfer statt – die Umwandlung von kinetischer in Verformungsenergie. Die Strukturbauteile werden plastisch verformt, was zum Versagen der Komponenten führt. Aluminium- oder Stahllegierungen werden universell in vielen Anwendungen eingesetzt und sind oft ausreichend mit Berechnungskennwerten charakterisiert, die für das Verständnis und die Simulation eines Crashvorgangs relevant sind. Faserverbundwerkstoffe besitzen viele Vorteile, weisen jedoch ein deutlich komplexeres mechanisches Verhalten auf, was sich insbesondere auch in der Crashberechnung manifestiert. Hier nutzen wir unsere langjährige Expertise, um unseren Kunden valide Ergebnisse im Rahmen der Berechnung liefern zu können.
LS-DYNA - Unser Standardwerkzeug für Crashsimulation
Die numerische Simulation ermöglicht es den Herstellern, die Leistungsanforderungen an die Crashsicherheit ihrer Komponenten schneller und kostengünstiger zu erfüllen und somit effizientere, sichere Fahrzeuge an den Markt zu bringen. Die Werkzeuge und Modellierungstechniken, die für die Analyse des Crashverhaltens verwendet werden, sollten möglichst genaue Ergebnisse liefern eine hohe Steuerbarkeit durch den Benutzer bieten, um komplexe Crashsimulationen mit Verbundwerkstoffen erfolgreich durchzuführen.
LS-DYNA ist eines der fortschrittlichsten und renommiertesten FEM-Softwaresysteme, das bei über 80% der OEMs in der Automobilindustrie zur Simulation der Bauteil-, Insassen- und Fußgängersicherheit verwendet wird. Auch bei uns ist LS-DYNA ein Standardwerkzeug und bietet komplexe nichtlineare Materialmodelle für Metalle, Kunststoffe und Verbundwerkstoffe sowie verschiedenste Modellierungsmöglichkeiten und Steuerungsoptionen. Gepaart mit unserer umfangreichen Erfahrung und Expertise in der Auslegung und Berechnung von Composite-Bauteilen stellen wir damit für Sie sicher, dass Ihre Komponente den höchsten Sicherheits- und Leichtbauanforderungen entspricht.
Praxisbeispiel - AIP-Versuch
Um alle Herausforderungen und Besonderheiten bei der Durchführung einer Crashsimulation von Faserverbundbauteilen mit LS-DYNA zu verdeutlichen, wird in diesem Blog ein praxisnaher Testaufbau aus dem Motorsport erläutert. Crash-Boxen werden im Motorsport aber auch bei PKW generell in der vorderen Struktur des Fahrzeugs platziert, um die Aufprallenergie bei niedrigen Geschwindigkeiten zu absorbieren und dadurch große strukturelle Schäden an der umgebenden Struktur und der Fahrgastzelle zu vermeiden sowie Insassen vor zu hohen Beschleunigungen zu schützen. Faktoren wie Energieabsorption, maximale Verformung, Beschleunigung und Reaktionskräfte bestimmen die Sicherheitsbewertung des Fahrzeugs. Der Schockabsorbertest (auch Crash-Box-Test) ist ein Standardtest, der unter anderem im Motorsport zur praktischen Validierung der Crashsicherheit durchgeführt wird – so auch bei HAWKS Racing e.V., dem Formula Student Team der HAW Hamburg.
Für den physischen Test wird ein Teil der vorderen Trennwand des Fahrzeugs zusammen mit der sogenannten Anti Intrusion Plate (AIP) betrachtet. Die AIP ist in der Regel ein Faserverbundbauteil – meist aus CFK – und schützt im Frontbereich vor Eindringenden Gegenständen. Eine Aluminiumwabenstruktur wird mit einem Strukturklebstoff auf die AIP geklebt. Ziel ist die Umwandlung der Aufprallenergie in Verformungsenergie durch die Wabenstruktur, ohne Beschädigung oder zu hohe Verformung der Composite-AIP. Während des Versuchs wird das gesamte Bauteil auf eine ebene Fläche gelegt und eine Last von 300 kg mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 7 m/s auf den Versuchsaufbau fallen gelassen.
Dies sind die Vorgaben für einen von der Formula Student Germany definierten Crash-Box-Test:
- Eine Mindestenergie von 7350 J sollte von der Crashbox absorbiert werden.
- Der AIP sollte sich nicht um mehr als 25 mm verformen.
- Die Spitzenbeschleunigung sollte nicht mehr als 40 g betragen.
- Die mittlere Beschleunigung sollte nicht mehr als 20 g betragen.
Die richtige Kalibrierung von Berechnungsmodellen und Validierung von Annahmen über die Werkstoffeigenschaften und Randbedingungen sind essentiell, um präzise Simulationsergebnisse zu erhalten, die für die reale Anwendung brauchbar sind. Daher legen wir stets ein besonderes Augenmerk auf genau diese Punkte und prüfen die Modellannahmen zunächst in runterskalierten Testsimulationen. In diesem Beispiel wird der Crash-Box-Test in LS-DYNA simuliert. Vor allem die genaue Modellierung des Materialverhaltens der Composite-AIP ist hierbei entscheidend. Faserverbundwerkstoffe sind anisotrop und weisen daher ein richtungsabhängiges Verhalten unter Last auf - dies gilt sowohl in der Statik als auch im Crash.
In diesem Blogbeitrag wird zunächst ein Modell des Crashbox-Tests im Maßstab 1:10 ohne die Trennwand simuliert, um die grundlegenden Simulationsparameter und die erforderlichen Simulationseinstellungen zu bestimmen. Der gesamte Simulationsprozess am globalen Modell (1:1) der AIP wird in den nächsten Artikeln dieser Blogserie vorgestellt.
Komponente | AIP | Wabenstruktur | Starre Wand |
Länge [mm] | 30 | 20 | 30 |
Breite [mm] | 30 | 12 | 20 |
Dicke [mm] | 3.81 | 0.05 | 1 |
Material | FVK-Laminat | PAMG-XR1-5.7-3/16-20-P-5052 (Aluminium) | Stahl |
Die starre Wand wird mit der Materialkarte (MAT_020) aus der LS-DYNA Materialbibliothek versehen (Abb. 05). Der Wabenstruktur wird ein multilineares Plastizitätsmodell (MAT_024) zugewiesen, in dem der Plastizitätsbereich von Aluminium 5052 auf der Grundlage der plastischen Dehnung und Fließspannung dargestellt wird (Abb. 04). Die AIP wird mit unidirektionalen Glasfaser- und Köpergewebelagen definiert, wobei die Materialkarte MAT_054 (Enhanced composite damage) verwendet wird.
Für die AIP wird ein symmetrischer Laminataufbau mit insgesamt 26 Schichten definiert:
[twill 0°-90° /twill 0°-90° /UD -45° /UD +45° /UD 0° /UD 90° /twill +-45° /twill +-45° /UD 0° /UD 90° /UD -45° /UD +45° /twill 0°-90°] s.
Die Gesamtdicke der AIP beträgt 3,8 mm. Die Verbindung zwischen der Wabenstruktur und dem AIP wird durch einen starren Kontakt dargestellt, und die Stoßinteraktion zwischen allen Komponenten wird durch einen automatischen Kontakt mit einem Reibungskoeffizienten von 0,2 definiert. Die Außenkanten der AIP sind in allen Freiheitsgraden gesperrt. Eine Aufprallsimulation mit einer starren Wand von 30 kg Masse und einer Anfangsgeschwindigkeit von 7 m/s wird in LS-DYNA durchgeführt.
Wie bereits erwähnt, geht es bei Crashbox-Tests im Motorsport vor allem darum, sicherzustellen, dass die Crashbox die Aufprallenergie absorbiert und die darunter liegenden Bauteile nicht schwer beschädigt werden.
Aus den Ergebnisbildern und Diagrammen geht klar hervor, dass der Großteil der Energie beim Aufprall durch die Deformation der Wabenstruktur absorbiert wird.
Die Gesamtmasse der Aluminiumwabenstruktur beträgt 44,8g. Daraus ergibt sich eine spezifische Gesamtenergie von 167,41 (kN-mm/kg) für eine Energieabsorption von 7,5 kN-mm während des Crash-Box-Tests.
Ausblick
Anhand dieses im Maßstab 1:10 skalierten Modells des Crash-Box-Tests werden die erforderlichen mechanischen Eigenschaften für die homogenisierte Aluminiumwabe (MAT_026) berechnet, die im Globalmodell im 1:1-Maßstab eingesetzt wird. Zudem werden die globalen Simulationseinstellungen überprüft, um für eine stabile Simulation mit präzisen und plausible Ergebnissen zu sorgen. Diese Daten werden dann für die Simulation des globalen Crashbox-Tests verwendet.
Im nächsten Beitrag dieser Reihe geben wir Ihnen spannende Einblicke in den 1:1-Crashtest der vollständigen AIP in LS-DYNA und zeigen Ihnen, wie wir mittels numerischer Simulation das komplexe Verhalten eines solchen Bauteils effizient und realitätsnah abbilden können – damit Sie erheblich Testkosten und Zeit einsparen können.
Seien Sie gespannt!